Franziska Habelt
EN
Daniela Comani's video work Archive in Progress (2015/2020) begins with a telling newspaper headline: “Die Welt in Unordnung” ("The world in disarray"). In the approx. 40-minute video loop, the artist compiles newspaper clippings and photographs from magazines and other media in 2-second sequences. In this "archive in progress", Comani translates the illustrated (newspaper) news, which she has been collecting as analogue found footage material for thirty years, into the medium of moving images.
At first glance, the photographs seem to be strung together at random, they can be assigned to different time levels, they are black and white or in colour. They are all documents of "current events". The events depicted are located worldwide and are of (supposed) historical significance. From time to time, dates appear, as do short captions, lines of text and headlines in German, Italian or French. The newspaper clippings and photographs can be assigned to different subject areas: Politics, sport, economy, culture, current affairs. They show major events, crises and wars of the 20th and 21st centuries. Portraits of well-known personalities alternate with pictures from the world of sport, catastrophes, and political upheavals. An archive that, as the title suggests, is constantly expandable.
As we look at them, different thematic blocks emerge: We see freedom fighters, democrats, and pioneers of various movements as examples of careers fought for (sometimes under difficult conditions): Angela Merkel, Lady Di, Muhammad Ali, Nelson Mandela, Serena Williams, Che Guevara, Alice Schwarzer, Rudi Dutschke. There are a noticeably large number of women among the portraits shown. In addition, the viewer encounters numerous images of fascism, dictators, and despots. The images have recognition value, some are well-known "icons".
The video is an examination of the images that are circulated en masse by the media. One often finds recurring image patterns in photographic reporting - for example, a stereotype that could be named "big men who make history". In her work, Daniela Comani shows precisely these patterns and at the same time breaks them by setting her own emphases. She highlights the female protagonists and subtly and critically changes the supposedly fixed view of the course of world history in her archive.
In this way, she makes it clear: Media (as well as art) are subjectively shaped, they always show only a selection of the possible. Certain aspects are emphasised, others excluded. The ideological, political or cultural "messages" visualised by the images influence public discourse – they can activate us, become relevant for our actions. Images influence our perception of the past and the present, and even constitute them in some part. We remember images and remember through images that are representative of an event. Thus, the representation of an event in the media gains greater importance than the event itself.
Daniela Comani's Archive in Progress shows that world history, anchored as collective memory, is also guided by subjective perspectives, by media and their image patterns. History can be changed, overwritten, and there are always other, alternative perspectives. This can currently be observed in various political or ideological contexts, or, as with Comani, from a gender-critical approach.
DE
Daniela Comanis Videoarbeit Archive in Progress (2015/2020) beginnt mit einer sprechenden Zeitungs-Schlagzeile: „Die Welt in Unordnung“. In dem ca. 40 Minuten langen Video-Loop stellt die Künstlerin in 2-sekündiger Folge Zeitungsauschnitte und Fotografien aus Magazinen und anderen Medien zusammen. In diesem „Archive in Progress“ übersetzt Comani die bebilderte (Zeitungs-)Nachricht, die sie seit dreißig Jahren als analoges Found Footage-Material sammelt, in das Medium der Bewegtbilder.
Die Aufnahmen wirken auf den ersten Blick wie zufällig aneinandergereiht, sie lassen sich verschiedenen Zeitebenen zuordnen, sind schwarz-weiß oder farbig. Sie alle sind Dokumente eines „Zeitgeschehens“. Die dargestellten Ereignisse sind weltweit verortet und von (vermeintlich) historischer Bedeutung. Ab und zu tauchen Jahreszahlen auf, ebenso wie kurze Bildunterschriften, Textzeilen und Überschriften auf Deutsch, Italienisch oder Französisch. Die Zeitungsausschnitte und Fotografien können verschiedenen Themenfeldern zugeordnet werden: Politik, Sport, Wirtschaft, Kultur, Zeitgeschehen. Sie zeigen große Ereignisse, Krisen und Kriege des 20. und 21. Jahrhunderts. Porträts bekannter Persönlichkeiten wechseln sich ab mit Bildern aus der Sportwelt, von Katastrophen und politischen Umbrüchen. Ein Archiv, das, wie der Titel schon behauptet, ständig erweiterbar ist.
Beim Betrachten bilden sich verschiedene Themenblöcke heraus: Wir sehen Freiheitskämpfer*innen, Demokrat*innen und Vorreiter*innen unterschiedlicher Bewegungen als Beispiele für (zum Teil unter schwierigen Voraussetzungen) erkämpfte Karrieren: Angela Merkel, Lady Di, Muhammad Ali, Nelson Mandela, Serena Williams, Che Guevara, Alice Schwarzer, Rudi Dutschke. Unter den gezeigten Porträts sind auffällig viele Frauen. Daneben begegnen den Betrachter*innen zahlreiche Bilder des Faschismus, von Diktatoren und Despoten. Die Bilder haben Wiedererkennungswert, manche sind bekannte „Bildikonen“.
Die Videoarbeit ist eine Auseinandersetzung mit den Bildern, die von den Medien in massenweisen Umlauf gebracht werden. Oft findet man wiederkehrende Bildmuster in der fotografischen Berichterstattung – etwa ein Stereotyp, das man mit „große Männer, die Geschichte machen“ benennen könnte. Daniela Comani zeigt in ihrer Arbeit ebendiese Muster auf, und durchbricht sie gleichzeitig, indem sie eigene Akzente setzt. Sie hebt die weiblichen Protagonistinnen hervor und verändert in ihrem Archiv subtil-kritisch den vermeintlich festgeschriebenen Blick auf den Ablauf der Weltgeschichte.
Somit verdeutlicht sie: Medien (wie auch die Kunst) sind subjektiv geprägt, sie zeigen immer nur eine Auswahl des Möglichen. Bestimmte Aspekte werden betont, andere ausgeklammert. Die ideologischen, politischen oder kulturellen „Botschaften“, die durch die Bilder visualisiert werden, nehmen Einfluss auf den öffentlichen Diskurs – sie können uns aktivieren, handlungsrelevant werden. Bilder beeinflussen unsere Wahrnehmung von der Vergangenheit und der Gegenwart, ja konstituieren diese zum Teil. Wir erinnern uns an und durch Bilder, die stellvertretend für ein Ereignis stehen. Damit gewinnt die Repräsentation eines Ereignisses in den Medien größere Bedeutung als das Ereignis selbst.
Daniela Comani zeigt mit Archive in Progress: Die als kollektive Erinnerung verankerte Weltgeschichte ist auch durch subjektive Perspektiven geleitet, durch Medien und ihre Bildmuster. Geschichte ist veränderbar, überschreibbar, es gibt immer auch andere, alternative Blickwinkel. Das ist aktuell in verschiedenen politischen oder ideologischen Kontexten zu beobachten, oder, wie bei Comani, aus einem genderkritischen Ansatz heraus.